Sieben Linden von Oben
Wenn Sie je ein Ökodorf gründen, dann achten Sie darauf, dass es schmuck in einem Tal liegt und von den darumliegenden Hügeln aus allen Richtungen gut fotografiert werden kann. Sonst geht es Ihnen wie mir im Ökodorf Sieben Linden, wo ich als Fotograf permanent mit so einer blöden Flachheit zu kämpfen habe. Eigentlich war das in den meisten größeren Gemeinschaften, die ich besucht habe, so: Das Gemeinschaftsleben ist mit Bildern schwierig darzustellen; es läuft meistens auf Arbeiten und Essen heraus, was man fotografieren kann – und die Siedlung kriegt man nie in ein Foto. Das erste Problem bleibt eine ständige Herausforderung, das zweite habe ich am 16. September fürs Erste gelöst: Mit einer 18-Meter-Hebebühne habe ich ein paar Bilder von oben geschossen, ein paar der Ergebnisse sind hier zu sehen. Es ging mir um das Titelbild für ein neues Buch über Sieben Linden, das in ein paar Monaten erscheinen soll – aber natürlich auch darum, der Flachheit mal einen Schritt voraus bzw. drüber zu sein.
Der Zeitpunkt war die letzte Gelegenheit, die alte Werkstatt – das ist die Ecke zwischen Regiohaus und Nordriegel – in ihrem alten Zustand zu knipsen. Am Montag, den 19. September, wird das Gebäudeteil eingerüstet und das Obergeschoss dann unter anderem zu Seminarräumen umgebaut. Bevor das so weit ist, muss die alte Werkstatt und ihr Obergeschoss ausgeräumt werden – die Sachen-Endgültig-Rausschmeißerin ist zur Zeit Bettina, die natürlich erst was Neues zimmern kann, wenn das Alte ausgeräumt und abgebaut wurde. Zur Erinnerung: Die alte Werkstatt war ein noch älterer Stall, und der Raum darüber hieß „die Platte“, seit 1997 (danke, Eva, für die Jahreszahl) die freireisenden Zimmerer ihr Sommertreffen in Sieben Linden abgehalten und dort oben gewohnt, d.h. „Platte gemacht“ haben. Damals wurde das Regiohaus saniert, und seitdem wird Kruscht in der Platte eingelagert. Wenn man gar nicht wusste, wohin mit einer Sache, dann fand man da oben noch einen Platz. Mit den Anforderungen unserer Lebensmittellagerung wurde die Platte dann immer aufgeräumter und organisierter, aber was jetzt alles zu Tage gefördert und in die Verschenkeecke geräumt wird, ist aufregend und sorgt für Menschentrauben in der Durchfahrt. Bücher, Schränke, eine Nähmaschine, ein Plastikschwimmbecken.
Auch die Gemeinschaft wird nach dem Umbau einen Raum nutzen können, in dem bequem alle hineinpassen. Insgesamt sind doch um die 135 Menschen ständig am Platz, zum Osterbrunch o.ä. wird es im Seminarraum längst eng. Vor allem wird der Umbau aber bedeuten, dass Gästegruppen auch getrennt von der Gemeinschaft speisen können. Die Vermischung von Gästebetrieb und Gemeinschaft ist ja einzigartig in Sieben Linden. Meist ist das toll: Es führt dazu, dass jede_r Seminarteilnehmer_in auch gleich ein Stück unseres Gemeinschaftslebens mitbekommt, und dass wir unsere Gäste kennenlernen. Nicht optimal ist es bei Seminaren, denen der Veranstaltungsort weniger wichtig ist als die eigene Gruppendynamik, und außerdem kommt irgendwann der Punkt, wo auch ein_e Siebenlindner_in sich gern mal zu Bekannten an den Tisch setzen würde. Beim Sommercamp waren über 150 Gäste da, während des EDE-Kurses lebten vier Wochen lang über 35 Besucher mit am Platz, das Autumn-Leaves-Kulturfestival lockt viele Gäste und bedeutet wieder eine besondere Infrastruktur im/am Regiohaus… Und die Saison ist noch nicht vorbei. Wie gesagt, Gäste und Gemeinschaft sind sich in Sieben Linden nahe und werden es auch bleiben, aber in Zukunft wird es weitere Möglichkeiten geben, auch mal für sich zu sein. Und Gemeinschaftsleben lehrt, dass das immer von Vorteil ist.
Das Autumn Leaves hat gerade begonnen, während ich dies schreibe, und wieder bezaubert die Veranstaltung durch eine ruhige, zärtliche Atmosphäre. Wer sich warm anzieht (es wird abends schon so kalt!), kann was Besonderes erleben, im Zirkuszelt und auf dem Dorfplatz. Danach ist es gar nicht mehr so lang, dann geht auch der Herbst (autumn leaves), dann wird es wieder kälter und stiller. Bis dahin pflücken wir noch Pflaumen und Birnen und Äpfel und begrüßen einige von Ihnen hier im Ökodorf. Die alte Werkstatt ist dann Baustelle, aber der neue Tanzsaal bekommt schon seinen Fußboden und es gibt noch viele andere gemütliche Plätzchen bei uns…
Micha